Den Ausdruck “ein Gehör für etwas haben” gibt es in vielen Sprachen; kann somit jeder Mensch beim Fremdsprachenlernen von Liedern profitieren? Lieder sind ein wichtiges Mittel zum Fremdsprachenerwerb. Wer kennt nicht das französische Voulez-vous coucher avec moi, ce soir, oder Olala, c´est magnifique? Oder im Englischen My Way von Frank Sinatra?
Das Erkunden der Verbindung zwischen musikalischer Intelligenz und Sprachfertigkeit wird uns Möglichkeiten aufzeigen, wie wir klanglich-musikalische Elemente beim Fremdsprachenlernen nutzen können.
Wir wollen herausfinden, was “ein gutes Gehör für Musik oder für Sprachen haben” eigentlich bedeutet, und untersuchen dafür unterschiedliche Wissensbereiche, in denen es um die Rolle und den Nutzen der Musik geht:
-
Die Neurowissenschaft sagt uns, dass musikalische und sprachliche Reize in denselben Hirnregionen verarbeitet werden.
-
Die angewandte Linguistik analysiert Art und Funktion der Stimmmelodie, die Rolle der Prosodie oder anderer rhythmischer Muster beim Sprechen und Lesen.
-
Die Psychologie bestätigt die sozial-emotionale Kraft der Musik und der Worte, ebenso wie die allgemeinen kognitiven Prozesse, die vom Gehirn aktiviert werden.
-
Die Musikwissenschaft bestätigt, dass die musikalische Bildung das Fremdsprachenlernen beeinflusst. Dies wird auch durch Erfahrungen aus der Schule bestätigt, denn der auf musikalischen Methoden basierende Unterricht hilft den Lernenden, manche Lernprobleme zu überwinden bzw. schneller zu lernen.
-
Last, not least haben die Gesundheitswissenschaften beobachtet, dass das Wohlbefinden der Menschen durch Musik und Sprache positiv beeinflusst wird.
Was ist die Prosodie?
Prosodie ist der Teil der Grammatik, der uns die korrekte Aussprache und Betonung der Wörter lehrt; im Allgemeinen untersucht sie alles, was mit dem Klang einer Sprache zu tun hat: Silben, Rhythmus, Intonation (Satz-, Sprachmelodie), etc.
Musik und Sprache
Die Gemeinsamkeiten von Musik und Sprache finden sich schon in ihren Ausdrucksformen: stimmlich, gestisch und schriftlich. Merkwürdigerweise entwickeln sich Sprechen und Singen beim Kind spontan und zur gleichen Zeit. Das natürliche Medium von beidem sind Gehör und Stimme. Wir Menschen entwickeln die Fähigkeit, mit musikalischen Elementen oder Wörtern eine grenzenlose Zahl neuer Sequenzen zu erzeugen. Bei beiden Fähigkeiten kommen zunächst die rezeptiven und danach die produktiven Fähigkeiten zum Tragen. Beide haben eine feste Struktur bzw. folgen grammatischen Regeln, sei es, wenn man mit Noten eine Melodie oder mit Worten einen Satz bildet. Aber warum sind Melodien beim Spracherwerb so bedeutend?
Aus ontogenetischer Perspektive sagte schon Jespersen (1925), dass das Singen dem Sprechen vorausgeht; d.h., wie es Rousseau schon 1781 beschrieb, die ersten Wörter entstanden, um Bedürfnisse und Leidenschaften wie Hunger, Zorn, Freude, Angst auszudrücken... Diese waren nicht verbalisiert, sondern wurden durch Tonmuster ausgedrückt, Melodien, die die Wahrnehmung dieser Emotionen durch den anderen ermöglichten.
Andererseits weist Jackendorff (1992) auf die Analogien von Musik, Sprache und Sehvermögen hin. Er definiert sie als angeborene menschliche Fähigkeiten, die zur Kommunikation dienen. Sie basieren auf einer Gesamtheit von Regeln und werden durchs Lernen perfektioniert. Die Annahme, dass sich das Lernen auf Interaktion stützt, bestätigt sich ebenso aus evolutionärer Perspektive, da normalerweise kein Individuum in einem akustischen Vakuum aufwächst. Die Melodien, die jemand singt, spiegeln ebenso wie die Worte, die er in den ersten Jahren wiederholt und nachspricht, die Klänge seiner Gesellschaft, seiner Kultur wider.
Aus der Perspektive des Spracherwerbs setzt die musikalische Intelligenz bereits in der Fötus-Phase ein und hilft beim Unterscheiden-Lernen von Lauten, die für die Kommunikation “nützlich” und “nicht nützlich” sind. Laut der deutschen Forscherin Wermke weinen Babys in ihrer Muttersprache – das ist ihre erste Kommunikationsform. Viele Untersuchungen belegen dies und fügen hinzu, dass Babys ihre Muttersprache schon mit vier Tagen wiedererkennen.
Melodie und Kommunikation
Melodien sind sehr wichtig beim Perfektionieren der kommunikativen Kompetenz, denn sie helfen uns bei der Bildung des phonologischen Bewusstseins, d. h. sie helfen uns, Wörter, Silben und Phoneme einer Sprache zu unterscheiden. Es ist erwiesen, dass das Spielen mit Kindern und das Einüben von Liedern und Reimen mit ihnen sie darauf vorbereitet, ihre späteren kommunikativen Fähigkeiten besser zu entwickeln, weil sie so ihr Wortgedächtnis entwickeln. Beim Singen des spanischen Kinderlieds “Debajo de un botón – Unter einem Knopf”, zeigen wir ihnen, in welche Silben sich ein Wort aufteilt.
Debajo un botón, ton, ton
Del señor Martín, tin, tin
Había un ratón, ton ton
Muy muy chiquitín, tin tin
Tan tan chiquitín, tin, tin
Era aquel ratón, ton, ton
Que encontró Martín, tin, tin
Debajo un botón, ton, ton
Wenn wir La yenka (ein Tanz aus den 60er Jahren) singen und tanzen, wenn es heißt: “izquierda, izquierda, derecha, derecha, delante, detrás, un, dos, tres” – “links, links, rechts, rechts, vor, zurück, eins, zwei, drei” – machen wir psychomotorische Übungen, mit denen die Lernenden in Zukunft Buchstaben wie “d/q”, oder “b/p” auseinanderhalten können, die sich dadurch unterscheiden, dass sie den “Bauch vorne oder hinten, links oder rechts” und den “Stock” oben oder unten haben. Das aus dem Fernsehen berühmte Lied von Los Payasos de la Tele (die "Fernsehclowns") “Hola, don Pepito, hola, don José” zeigt, wie man Gespräche führt und im Dialog seinen Part einnimmt.
Melodien haben auch einen emotionalen und kommunikativen Wert. Wir brauchen sie, um einen Text zu intonieren und um ihn lebendig zu machen, und erleichtern somit sein Verständnis. Die “klangliche Hülle” der unterschiedlichen Diskursgattungen liefert dem Hörer wertvolle Informationen.
So macht ein Dozent in seinem Diskurs von den unterschiedlichen Funktionen von Sprachmelodie Gebrauch: um die Aussprache eines Wortes zu verdeutlichen, um seine Bedeutung zu erklären, um es zu wiederholen, um die Studenten dabei zu unterstützen, es sich zu merken oder um sie zur Selbstkorrektur zu ermutigen. Andere Funktionen der Melodie nutzt er in seinem Unterricht, um Arbeitsanweisungen zu geben, die Reihenfolge der Wortmeldungen zu bestimmen, Unterrichtsstörungen entgegenzuwirken oder um den Aufbau seines Vortrages zu verdeutlichen.
So hat jede Diskursgattung ihr eigenes Klangbild, was uns etwa hilft, die Predigt in der Kirche von einer Märchenerzählung zu unterscheiden.
Die Melodie des Spanischen
Jede Sprache hat ihre eigene Musikalität, ihren eigenen Rhythmus. Das Spanische etwa ist dadurch geprägt, dass die meisten Wörter auf der vorletzten Silbe betont sind, und dass alle Silben die gleiche Länge haben.
Fürs Spanischlernen gibt es viele Lieder aus unterschiedlichen Kulturen und musikalischen Gattungen. Singen ist eine Tätigkeit, die sowohl sprachlichen als auch musikalischen Gehalt zusammenführt, wobei beide Gehirnhälften beansprucht werden. Es ist eine Art “Hirngymnastik”, da das Gehirn durch die Übermittlung von Botschaften zwischen den beiden Hirnhälften gestärkt wird. Beim Singen verbessern wir die Aussprache, erweitern unseren Wortschatz, festigen grammatikalische Strukturen und entwickeln das flüssige Lesen. Daher empfehlen wir die Verwendung von Liedern (Lyricstraining) sowohl für Anfänger als auch für fortgeschrittene Lernende. Der Lerner selbst kann bei YouTube seine Lieblingssongs auswählen, wobei es hilfreich ist, wenn der Text in Untertiteln mitläuft. Im Allgemeinen helfen Lieder und Rhythmen beim Entwickeln der auditiven Unterscheidungsfähigkeit.
Auditive Unterscheidungsfähigkeit ist die Fähigkeit, Klänge der mündlichen Sprache zu identifizieren oder zu unterscheiden. Sie ist eine grundlegende Fähigkeit fürs Sprechenlernen sowie für die Lese- und Schreibkompetenz. “Haben Sie casa oder caza gesagt”?
Melodische Sensibilisierung
Ein spanisches Sprichwort sagt "El que canta, sus males espanta” – “Wer singt, vertreibt sein Leid”. Und tatsächlich: Singen ist eine Unterkategorie des Sprechens, und hilft uns daher, in einer Fremdsprache gut zu “klingen”; außerdem verstärkt ständiges Wiederholen das “Ich kann es”-Gefühl.
Es ist besonders interessant, eine Fremdsprache in der Freizeit zu lernen oder zu verbessern. Im Mittelalter gehörten sowohl Musik und Dichtung zum Begriff der ars musica. Dichtung und Musik sind von großer emotionaler und kommunikativer Bedeutung. Beide haben auch grundlegende Komponenten wie Rhythmus, Pausen und Melodien gemeinsam, und beide sollten erlebt und genossen werden. Das Vergnügen, Werke zu hören oder zu lesen, die von anderen geschaffen wurden, steigt, wenn der Empfänger dieser Botschaft interagiert und eigene Erfahrungen einbringt. Denken wir nur an die vielen Gedichte, die von Musikern vertont und in schöne Lieder verwandelt wurden.
Wir empfehlen Ihnen eine Aktivität zur musikalischen Sensibilisierung. Zu diesem Zweck wählen wir ein Gedicht aus oder versuchen, ihm einen musikalischen Hintergrund zu geben. Diese Übung wirkt sich beim Leser direkt auf Tempo und Schnelligkeit der Lektüre aus. Wenn wir unsere Stimme auf die Musik einstellen, halten wir uns instinktiv an die Pausen, verringern unseren Redefluss und folgen den Tonvariationen der Musik. Bei jedem Text, den wir auf diese Art laut lesen, werden wir die Worte und Sätze rhythmisch verbinden. Versuchen Sie es!
Die rhythmische Artikulierung weckt in uns das Vergnügen, uns in der Zielsprache fließend auszudrücken. Lieder und Gedichte sind häufig in der ersten oder zweiten Person geschrieben, sie animieren uns zum Mitmachen und lassen uns träumen. Daher habe ich zum Abschluss das Lied La vida es un carnaval von Celia Cruz ausgesucht, denn... Ist es nicht schöner, singend zu leben?
Ay, no hay que llorar, que la vida es un carnaval,
es más bello vivir cantando.
Oh, oh, oh, ay, no hay que llorar,
que la vida es un carnaval
y las penas se van cantando.
Wenn Sie dieses Lied singen und üben, werden Sie feststellen, wie einfach und unterhaltsam das Spanischlernen sein kann.
Zielsprache ist hier die Sprache, die wir lernen wollen, in unserem Fall also das Spanische.
Dr. María del Carmen Fonseca ist Professorin für den Spracherwerb, das Lernen und die Didaktik des Englischen an der Universität Huelva und Leiterin der Arbeitsgruppe ReALL. Sie forscht vor allem auf dem Gebiet des Sprachenlernens, und untersucht den Einfluss der Musik, des Lesens, der individuellen Besonderheiten und der emotionalen Komponente beim mehrsprachigen Sprachenlernen.
Klaus Walter: traducción del texto.
Diese Artikel könnten Ihnen auch gefallen:
31 Lerntipps – eine Empfehlung für jeden Tag des Monats
10 Erkenntnisse der Neurowissenschaften zur Verbesserung des Lernens