Über “die” Lage der Frau in Spanien zu sprechen – als ob die Lage für alle Frauen gleich wäre – ist an und für sich genauso gewagt wie über “die Lage des Mannes in Spanien” zu reden. Aber bei dieser Überschrift - die scheinbar nicht auf männliche Begriffe übertragbar ist - weiß jeder, worum es geht: Alle Frauen und Mädchen, unbesehen ihrer Lebensumstände, sind Missbrauch, Übergriffen, Vergewaltigung, Misshandlungen, Ungerechtigkeiten im Arbeitsleben, Unterrepräsentiertheit, Lohnunterschieden etc. ausgesetzt.
Viele Menschen kennen und spüren die Realität der Frauen in Südeuropa und die Nachteile für sie im Bereich der Menschenrechte; sie machen mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus (von 46 733 038 Menschen sind 50,97 % Frauen und 49,03 % Männer, laut den Daten des Nationalen Statistikinstituts INE 2018).
Rechtlicher Rahmen
Die Regierung von Pedro Sánchez (PSOE) kam am 7. Juni 2018 nach einem Misstrauensvotum gegen den Präsidenten Mariano Rajoy (Partido Popular, Volkspartei) ins Amt. Sánchez ernannte zwölf Frauen zu Ministerinnen, ein bisher einmaliger Vorgang in der spanischen Geschichte. Diese Regierung bestand nun nicht nur mehrheitlich aus Frauen, sondern hatte, sowohl von den Frauen als auch von den Männern her, eine offen feministische Grundausrichtung.
Präsident Sánchez und sein Team hatten damals unter anderem die Absicht, die Lage der Frauen in Spanien zu verbessern (in der Arbeitswelt, bei Gesundheit und Mutterschutz, Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben, Gewalt gegen Frauen im privaten und öffentlichen Bereich, unsichtbarer Arbeit, etc.).
Am 6. Juli 2018 wurden mit dem Königlichen Dekret (Real Decreto) 816/2018 einige Organismen hinsichtlich Gleichstellung und Sozialpolitik modifiziert, um beim Thema Frauenangelegenheiten weiterzukommen. Dies führte u.a. dazu, dass das Staatssekretariat für Gleichstellung direkt dem von Carmen Calvo geführten Präsidentschaftsministerium unterstellt wurde.
Die Löhne der Arbeiterinnen sind je nach Beruf und Region zwischen 10 und 30 Prozent niedriger als die der männlichen Kollegen
Hinsichtlich des Themas der Gewalt unterzeichneten schon im Dezember 2017 die Regierung Mariano Rajoys, die Autonomen Regionen, die Kommunen und alle politischen Parteien einen Staatsvertrag gegen geschlechtsbezogene Gewalt. Ausgestattet mit 200 Millionen Euro, soll mit diesem Vertrag Opferschutz, Erziehung und Sensibilisierung für das Problem sowie die Weiterbildung unterstützender Fachkräfte verbessert werden.
Es wurden insgesamt 26 Maßnahmen ergriffen, sechs zur Vorbeugung gegen sexuelle Gewalt; weitere sechs zum Schutz Minderjähriger gegenüber gewalttätigen Vätern (Aussetzung von Besuchsregelungen etc.); vier Maßnahmen zur Weiterbildung von Sicherheitskräften, Anwälten und Staatsanwälten; statistische Beobachtung/Weiterverfolgung, Empfehlungen an öffentliche Verwaltungen und Einrichtungen; und letztlich Visualisierung und Aufmerksamkeit auf weitere Formen der Diskriminierung wie Genitalverstümmelung mittels Informationskampagnen und gesundheitliche Prüfprotokolle.
Die gläserne Decke
Offiziell sind sie im Sinne der Gleichheit erzogen, und die Mädchen und jungen Frauen erreichen bei den Universitätsabschlüssen bessere Durchschnittsnoten als ihre männlichen Kollegen. Sie sind besser ausgebildet: 60 % der Uniabsolventen sind weiblich; aber nur 14 % der Rektoren und nur 20 von 100 Lehrstuhlinhabern sind Frauen.
Man spricht von der berühmten “gläsernen Decke” (man sieht die Spitze, gelangt aber nicht dorthin) im Unternehmensbereich; bei 66 % der spanischen Unternehmen sind keine Frauen im Vorstand, und in den anderen sind sie in der Minderheit, wodurch das weibliche intellektuelle Potenzial und berufliche Talent brachliegt. Davon abgesehen funktioniert die Eingliederung ins Arbeitsleben bei Frauen schlechter als bei den Männern, die Arbeitsverhältnisse sind prekärer und die Gehälter schlechter. Einige Daten hierzu: Laut der Arbeitskräfteerhebung des INE stellen Frauen 45 % der Arbeitskräfte in Spanien.
Die große Mehrheit davon (etwa 78 %) arbeitet im Dienstleistungsbereich, als Kellnerinnen, Verkäuferinnen, Stewardessen; etwa 21 % üben geistige Tätigkeiten aus: Ingenieurinnen, Ökonominnen, Dozentinnen, Ärztinnen und Anwältinnen; das restliche Prozent teilt sich auf Industrie, Landwirtschaft und Bauwesen auf. Andererseits sind Frauen mit einer Quote von 18,35 % häufiger von Erwerbslosigkeit betroffen als Männer (14,97 %). Auch Teilzeitjobs werden mehrheitlich (70 %) von Frauen ausgeführt.
Die Löhne der Arbeiterinnen sind je nach Beruf und Region zwischen 10 und 30 Prozent niedriger als die der männlichen Kollegen. Und zuletzt gibt es mehr Rentnerinnen als Rentner, die aber im Durchschnitt weniger Rente beziehen als die Männer. Die Durchschnittsrente für Männer liegt bei 1150 €, für Frauen bei 727 €, also 37 % weniger.
Spanien registrierte 2018 die niedrigste Geburtenzahl seit 1941
Was “Hausfrauen” anbelangt, ist in Spanien nach wie vor folgender Spruch zu hören: “Sie arbeitet nicht, sie ist zu Hause bei den Kindern”. Doch Haushalt und Kindererziehung sind Arbeit; Beleg dafür ist die Tatsache, dass jemand dafür bezahlt werden muss, wenn man es nicht selbst macht. Jenseits aller Statistiken wird diese “unsichtbare” Arbeit in 80 % der Familien von Frauen ausgeführt und nicht vergütet: Kindererziehung sowie die Versorgung von kranken, alten und pflegebedürftigen Familienangehörigen. Spanien registrierte 2018 die niedrigste Geburtenzahl seit 1941. Der Bevölkerungsrückgang hat seit 2015 einen historischen Tiefpunkt erreicht; andererseits gab es 2015 die meisten Todesfälle, was deutlich macht, dass die Bevölkerungspyramide sich umkehrt.
2018, ein entscheidendes Jahr
Warum war das Jahr 2018 von so entscheidender Bedeutung bei Gleichstellungsthemen? Zum einen wurde Ende 2017 der Staatsvertrag gegen Gewalt gegen Frauen unterzeichnet; zum anderen gab der Regierungswechsel der Frauenbewegung neuen Schwung. Die Bewegung MeToo aus den USA machte sich in Spanien ebenfalls bemerkbar, wo der Auslöser kein Harvey Weinstein war, sondern der Prozess gegen die “Manada”, “das Rudel”, eine Gruppe von fünf Männern, die während des San-Fermín-Fests in Pamplona ein Mädchen vergewaltigt hatten; aus diesem Anlass und wegen des ungerechten Urteils gingen überall im Land die Menschen auf die Straße. Für den 8. März 2018 wurde zu einem Streik der Frauen aufgerufen: “Wenn wir stillstehen, steht das ganze Land still”, mit großer Unterstützung der Medien.
Engagement der Medien
Mit der Bewegung “Wir Journalistinnen streiken (las periodistas paramos)” am 8. März 2018 wurde das Engagement dieser Berufsgruppe gegen die täglichen Ungerechtigkeiten und Ausbeutung der Frauen deutlich. 2018 war das Engagement der Medien im Kampf für die Frauenrechte bedeutsam, da insbesondere RTVE (Radio und Fernsehen Spaniens, öffentlich-rechtlicher Rundfunk) dem Thema viel Raum und Sendezeit einräumte, um die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten gegen Frauen und Mädchen zu zeigen.
Organisationen für Gleichstellung
Es gibt zahlreiche und unterschiedliche Frauengruppen und Vereinigungen, zusammengeschlossen im Staatlichen Verband feministischer Organisationen. Es handelt sich dabei um stetig wachsende Interessen- und Aktionsgruppen. Kürzlich haben etwa 50 von ihnen unter dem Namen Plataforma Estambul Sombra (Plattform Istanbul Schatten) den Grad der Umsetzung des Istanbuler Abkommens von 2014 in Spanien untersucht, und im GREVIO-Bericht (GREVIO: Grupo de expertas en violencia contra las mujeres – Expertengruppe für Gewalt gegen Frauen) die Mängel in der Umsetzung bei der Bekämpfung männlicher Gewalt angeprangert.
Bedeutung der Männer
Andererseits gibt es in Spanien immer mehr Männer, die sich trauen, den Machismo zu thematisieren und sich davon zu distanzieren; seit 2001 gibt es die AHIGE (Asociación de Hombres por la Igualdad de Género – Verband der Männer für Gleichberechtigung, einen Zusammenschluss von Männern zum Nachdenken und Handeln im persönlichen, technisch-beruflichen und sozialen Bereich.
2018 war das Engagement der Medien im Kampf für die Frauenrechte bedeutsam
Da klar wird, dass die Frauen neue Verhaltensmodelle anstelle des traditionellen Modells entwickeln, haben auch die Männer beschlossen, ihr Mannsein und die erlernten Rollenmodelle zu hinterfragen, und zwar mit dem Ziel, ein Gegengewicht zum Machismo zu schaffen.
In ihrem Dekalog sammeln sie Ideen basierend auf dem Gedanken des gleichberechtigten Mannes, der einlädt, Bewusstsein zu bilden und Verantwortung zu übernehmen. Sie unterstützen die Forderungen der Frauen gegen Sexismus; sie lernen, sich als empfindsame, feinfühlige und verletzliche Menschen zu betrachten; sie erklären null Toleranz gegenüber Gewalt, das sie durch Schweigen zu Komplizen werden. Letztlich ist es ihr Ziel, eine Gesellschaft der Gleichberechtigung zu errichten, ausgehend von Veränderungen bei ihnen selbst.